Heute zu »Beben« mit Volker Metzler und Karola Marsch | »Beben«, die erste Inszenierung des neuen Schauspieldirektors an der Parkaue, wurde für den Friedrich-Luft-Preis nominiert. Dramaturgin Karola Marsch und Regisseur Volker Metzler verraten uns, wieso sie sich für das Stück von Maria Milisavljevic entschieden haben und was den Stoff so relevant macht.
Warum habt ihr »Beben« für die Eröffnung der Spielzeit ausgewählt?
Karola Marsch: Für uns ist das ein ganz aktuelles, hochengagiertes und hochpolitisches Stück auf vielen, vielen Ebenen. Es stellt sehr eindrücklich aus, wie die Menschen sich konstant gegenseitig angehen statt aufeinander zuzugehen. Es dreht sich alles um die Abgrenzung, um das eigene Darüberstehen und die Gewalt, mit der diese Spirale eskaliert. Auf der anderen Seite beginnen wir mit Volker Metzler als Schauspieldirektor eine neue Zeit an der Parkaue. Wir wollten mit einem Stück starten, bei dem alle Schauspieler des Ensembles mit ihm gemeinsam die erste Arbeit gestalten. Das ist uns auch fast gelungen. Nur zwei sind nicht dabei, da sie noch in der Elternzeit sind – also aus verständlichen Gründen [lacht]. Aber sonst wollten wir mit diesem Stück, das so vielfältig und vielschichtig ist, einen gemeinsamen großen Aufriss haben und sagen: Kommt zu uns in die Parkaue, wir sind jetzt wieder hier!
Was erwartet das Publikum in »Beben«?
Volker Metzler: In »Beben« geht es meiner Meinung nach um viele zeitgemäße Fragen, darunter auch eine existenzielle Frage des Menschseins, der Menschheit überhaupt: Gibt es ein Vergeben unter Menschen, unter verfeindeten Gruppen? Maria Milisavljevic behandelt diese Frage anhand einer Mutter, die im Krieg ihr Kind verliert. Das Kind wird auf offener Straße erschossen, weil es ein Buch unter der Jacke hatte und ein Soldat denkt, das Kind hätte eine Bombe oder einen Sprengstoffgürtel bei sich. Diese beiden Figuren, die Mutter und der Soldat, begegnen sich in dem Stück verschiedentlich.
Dabei versucht die Mutter dem Soldaten, der ihr Kind erschossen hat, die Hand zu reichen, zur Versöhnung. Sie bricht damit diesen ewigen Kreislauf von Opfern und Tätern, von Hass und Widerhass. Die Autorin schreibt im Grunde genommen eine Parabel auf die Frage, wie wir weiterleben wollen – auch in unserer Situation, angesichts von Bürgerkrieg, Flucht und religiöser Spannung. Sie hat den Text dabei so verfasst, dass er genug Raum lässt, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Das Stück ist nicht darauf fixiert, dass man sagt: Das ist eine Muslima, das ist ein Christ oder das ist ein Israeli und das ist ein Palästinenser. Da sind einfach zwei Leute: Eine Mutter mit Kind und ein Soldat.
Im Zeitalter der digitalen Medien, gerade über die sozialen Netzwerke, werden wir intensiver als früher mit gewaltsamen Bildern, auch Bildern aus den Kriegsgebieten dieser Welt konfrontiert. Glaubst du, unsere Vorstellung von Gewalt und dem realen Zustand von Krieg nähert sich dadurch der Wirklichkeit an?
Volker Metzler: Wir leben ja in einer von Bildern geprägten Welt, kaum etwas konsumieren wir noch ohne Bildeindruck. Ich glaube, in diesem Fall entfernt uns das davon, eine Vorstellung zu entwickeln, was Krieg eigentlich bedeutet. Wir versuchen, uns emotional zu schützen indem wir uns abschotten, viel stärker als früher. Damals wurde sparsamer mit Bildern umgegangen, die dafür eine geradezu ikonenhafte Wirkung entfaltet haben. Ich denke da an den Vietnamkrieg, Napalm-Angriffe, die Atombombenabwürfe. Da hatten die Bilder eine ganz große Kraft und standen für sich.
Heute gibt es Millionen von Bildern, die den Krieg beschreiben und reflektieren. Als Reaktion darauf rücken wir von der Auseinandersetzung ab und machen zu. Umso wichtiger sind Stücke wie „Beben“ im Theater. Weil sie echt sind, gespielt von echten Menschen aus Fleisch und Blut. Bei uns sieht man niemanden sterben, aber die Menschen lassen sich auf die Geschichte ein. Dadurch finden sie wieder einen emotionalen Zugang zu dem Thema.
Das Gespräch führte Ilja Wehrenfennig (THEATER AN DER PARKAUE, SHK Kommunikation)