Großes Gezeter hört man zurzeit auf und um und unter unseren Bühnen. Alle gehen sie auf die Barrikaden – der Vorhang meckert, die Bestuhlung quengelt, die Scheinwerfer flackern wütend auf. Der Vorwurf: über die Bühnen wird ständig gesprochen und der Rest? Bleibt hinter den Kulissen? Nicht mit uns! Unsere Redaktion hat sich erweichen lassen und die Rubrik „Wer bin ich?“ ins Leben gerufen. Hier erzählen unsere bühnentechnischen Raffinessen ab jetzt ihre ganz persönliche Geschichte. Könnt ihr erraten, wer sich hinter dem heutigen Text verbirgt? Die Kommentarfunktion ist hiermit mit Konfetti und Trompeten eröffnet!
Über mir drehen sich die Bretter, die die Welt bedeuten. Auf mir explodiert es, raucht es, schreit man. Über mir ziehen ganze Jahrhunderte vorbei, steht von Emilia Galotti bis Robinson Crusoe, von Dornröschen bis zum Zauberer von Oz jeder auf meinem Dach. Auf mir ist schon so einigen speiübel geworden und durch mich wurden schon hunderte von Schauspieler*innen im Alter von 0 bis 99 verschluckt. Ich kann mich mit einer Geschwindigkeit von 0,3 Metern pro Sekunde um die eigene Achse drehen. Ich bin wendig. Am liebsten drehe ich Pirouetten – ich zaubere sie links herum und rechts herum, die talentiertesten Eiskunstläufer der Welt erblassen neben mir. Manche weichen ab von mir, haben sogar Angst. Auf mir wird gekichert, geschrien, gelacht und geweint. Gestritten, geliebt und gespielt. Diskutiert, verschüttet und gehüpft. Gejagt, gefeiert und verbeugt. Ich tanze in jedem Takt und zu aller Musik, von Henry Purcell über The Bangles und Yung Hurn bis hin zu Kalle Krass. Beyoncé gefällt mir besonders gut. Ich bin ungeheuer klug, ich lauschte ihnen schon allen. Reden von Schiller habe ich gehört und Gerhart Hauptmann, aber auch Max Frisch und Michael Ende. Früher dachten die Menschen, die Erde sei eine Scheibe, dass wisst ihr alle. Man ging davon aus, die Erde in ihrer Beschaffenheit sei wie ich – dieser Gedanke gefällt mir besonders gut. Manchmal treten auf mir Figuren auf, die zu dieser Zeit noch lebten. Ihnen lausche ich besonders gerne und stelle mir vor wie ich die Welt und die Welt mich umschließt. Manchmal werde ich ganz rot, wenn eine Künstler*in eine verrückte Idee hat, auch in gelb, grün und grau habe ich mich schon verwandelt. Gras ist auf mir schon einiges gewachsen und Wasser geflossen, Erde wurde verteilt und Dinge zerquetscht oder gebaut. Ihr werdet jetzt denken ich sei, wer sonst, die Bühne. Aber Madame steht heute zur Abwechslung einmal nicht alleine im Rampenlicht. Schluss damit. Zurück zu mir, denn wenn ich ins Rollen komme treten sie alle zurück: der Eiserne Vorhang versteckt sich, der Schnürboden zittert und sogar der sonst so schillernde Stoff der die Bühne vom Zuschauerraum trennt, tritt langsam seinen Rückzug an. Dann ist es Zeit für meinen Auftritt!